Als die Terroristen auf Widerstand stiessen | NZZ (2024)

Am 11. September 2001 war Flug 93 der United Airlines die Ausnahme: Den Terroristen gelang es nicht, ihr Ziel zu treffen, weil sie auf Widerstand der Passagiere stiessen. Der Ablauf der Geschehnisse kann dabei besser als bei den übrigen drei Entführungen rekonstruiert werden.

Wollten die Attentäter das Capitol in Washington oder das Weisse Haus treffen? Darüber wurde schon viel spekuliert, aber eine Antwort wird es wohl nie geben: Das vierte am 11. September von Terroristen entführte Flugzeug hat sein Ziel nicht erreicht, sondern zerschellte auf offenem Feld im Gliedstaat Pennsylvania.

Flug United 93 hat die Öffentlichkeit unmittelbar nach dem schrecklichen Tag stark beschäftigt. Vor allem die Tatsache, dass es den Entführern nicht gelang, ihren mörderischen Plan in die Tat umzusetzen, weil sie auf den Widerstand der Passagiere stiessen, hat einen tiefen Eindruck hinterlassen. Die Drehbücher von zwei Spielfilmen («United 93» und «Flight 93 ») basieren denn auch auf den Ereignissen von Flug «UA 93».

Funksprüche und Telefongespräche

Was an Bord der B-757 der United Airlines im einzelnen geschehen war, kann anders als bei den übrigen drei Entführungen dieses Tages bis zu einem gewissen Grad rekonstruiert werden. Möglich ist dies auf der Grundlage von Funksprüchen aus dem co*ckpit, der Aufzeichnung der co*ckpitgespräche (hier das vollständige Transkript) und vor allem auch von den Telefongesprächen, welche Passagiere und Kabinenbesatzung noch führen konnten.

Die Aufzeichnung des Voice-Recorders im co*ckpit beschränkt sich zwar auf die letzten 30 Minuten, diese Zeit ist aber fast identisch mit der Dauer der Entführung bis zum Absturz. Dabei gibt die Lektüre des Transkriptes bestenfalls eine Ahnung von der Dramatik der Geschehnisse. Wie ein Beteiligter einer späteren Untersuchung betonte, ist das Abhören der originalen Aufzeichnung eine emotional äusserst aufwühlende Erfahrung.

Die letzte der entführten Maschinen

Flug United 93 war als letzte der entführten Maschinen auf dem New Yorker Newark-Flughafen gestartet. Die vier Terroristen an Bord warteten nach dem Start ausserdem noch 46 Minuten, bis sie die Besatzung überwältigten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Attacken auf New York schon erfolgt. Über das firmeninterne «Aircraft Communication Addressing and Reporting System» (ACARS) erhielten die Piloten von United 93 deshalb um 9 Uhr 24 auf ihrem Display im co*ckpit eine Warnung: «Beware any co*ckpit intrusion—two a/c [aircraft] hit World Trade Center.»

«Mayday, mayday»

Vier Minuten später schlugen die Terroristen auch an Bord von United 93 zu: Um 9 Uhr 28 setzte ein Besatzungsmitglied den Notruf «Mayday, mayday» ab. Im Hintergrund waren gleichzeitig Schreie vermutlich eines Mitglieds der Kabinenbesatzung zu hören. Die Aufzeichnungen legen weiter nahe, dass der Captain versuchte, Widerstand zu leisten. Einer der Piloten schaltete ausserdem offenbar den Autopiloten aus.

Als die Terroristen auf Widerstand stiessen | NZZ (2)

Derjenige der Hijacker, welcher das Steuer nun übernahm und dafür trainiert worden war, bekundete einige Mühe, die Maschine unter Kontrolle zu bekommen. Die auf arabisch geführten Gespräche der Terroristen im co*ckpit zeigen, dass diese deshalb schon früh die Möglichkeit eines Abbruchs ihrer Mission – sprich eines absichtlich herbeigeführten Absturzes – in Erwägung zogen.

Von den anderen Anschlägen erfahren

Weitere Einzelheiten kennen wir aus den Telefongesprächen der Passagiere und Mitgliedern der Kabinenbesatzung. Insgesamt gab es aus der Maschine von 9 Uhr 30 an in der folgenden halben Stunde 37 Telefonverbindungen - davon 35 über die in die Flugzeugsitze eingebauten «airphones» und zwei über Handys. Zuerst meldete sich eine Flight Attendant per Telefon bei ihrer Einsatzentrale und berichtete, United 93 sei entführt und eine ihrer Kolleginnen von den Luftpiraten erstochen worden. Die Ermittler fanden später in den Trümmern der Absturzstelle ein Messer, das als Zigarettenanzünder getarnt war.

Einer der Passagiere berichtete seiner Frau am Telefon, dass sein Flugzeug von Terroristen entführt worden sei, die behaupteten, es befinde sich eine Bombe an Bord. Ein Mitpassagier sei von den Entführern mit einem Messer verletzt worden. Von entscheidender Bedeutung aber war, dass er umgekehrt von seiner Frau von den Anschlägen von New York erfuhr: Er erkannte, dass die Terroristen auf einer Selbstmordmission waren und sagte seiner Frau: «Mach Dir keine Sorgen. Wir werden etwas unternehmen.»

Kollektiver Entschluss zum Handeln

Mit «wir» meinte er offenbar sich und die übrigen Passagiere. Die 182-plätzige B-757 war auf diesem Flug nur mit 37 Passagieren belegt. Die Besatzung zählte 7 Mitglieder. Sie alle wurden von den Entführern im hinteren Teil der Kabine zusammengedrängt, um sie dort besser unter Kontrolle halten zu können. Dort fiel offenbar mit dem Wissen um die bereits erfolgten Anschläge der kollektive Entschluss zum Handeln: «Ich muss aufhören. Sie versuchen, die Türe ins co*ckpit aufzubrechen», sagte ein anderer Passagier am Telefon um 9 Uhr 53. Zu diesem Zeitpunkt traf das dritte Flugzeug das Pentagon, und der Südturm des World Trade Centers in New York begann einzustürzen.

«Sollen wir Schluss machen?»

Der das Flugzeug steuernde Terrorist versuchte den Angriff der Passagiere zuerst mit starken Rollbewegungen abzuwehren um kurz darauf die Nase der Maschine abrupt steil nach oben und nach unten zu reissen. Auf dem Stimm-Rekorder sind jetzt Geräusche wie Schreie, zersplitterndes Glas und offenbar das Aufbrechen der co*ckpittüre zu hören. Einer der Hijacker ruft drei Minuten nach Beginn der Attacke: «Ist es das? Sollen wir Schluss machen?».

Wenig später neigt sich die Maschine im steilen Sinkfluf stark nach rechts und dreht sich anschliessend sogar auf den Rücken. Einer der Terroristen beginnt den Ausruf «Allah ist gross» ständig zu wiederholen. Die Geräusche eines Kampfes sind noch weiter zu hören – bis zum Augenblick des Aufpralls auf einem Feld in Pennsylvania, rund 20 Flugminuten von Washington entfernt.

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